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TUB/TONGJI-SUMMER SCHOOL AM CDHK

 

Unter der Leitung von Dr. Sigrun Abels vom China Center der TU Berlin fand auch 2018 wieder die  TUB/TONGJI-Summer School 2018 am CDHK in Shanghai statt.  Über drei Wochen hinweg nahmen insgesamt 31 Studierende der TU Berlin, der Ruhr-Universität Bochum, der Hochschule Aschaffenburg und der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen an der intensiven Lehrveranstaltung teil und gewannen dabei Einblicke in die chinesische Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur. Hinzu kamen zahlreiche china-spezifische Vorlesungen über Marketing, Logistik, deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen und Geistesgeschichte sowie eine Einführung in die chinesische Sprache. Zur Vertiefung des Erlernten besuchte die Gruppe überdies chinesische und deutsche Unternehmen und unternahm Ausflüge in ländlichere Regionen.

 

Die Summer School findet seit über zehn Jahren statt und ist fester Bestandteil des Chinakompetenz-Programms am CDHK.


Erfahrungsbericht von Leonard Missbach

 

In den Straßen Shanghais ergibt sich nach Einbruch der Dunkelheit die Möglichkeit, lokale Speisen von rustikalen Verkaufsständen zu erwerben. Dabei erfreuen sich insbesondere gefüllte Teigfladen besonderer Beliebtheit, die ans Innere eines Holzfasses geklebt und anschließend durch aufsteigende Hitze gebacken werden. Während der TUB-/Tongji-Summer School im September 2018 waren diese Fladen oft meine erste Wahl für eine Abendmahlzeit. Zu meiner Verwunderung wurde mein Bestreben mit Bargeld zu bezahlen mit Unverständnis quittiert – die lokale Kundschaft bevorzugt offenbar die Zahlung via Smartphone. Selbst kleine Straßenstände wickeln ihre Zahlungsgeschäfte im Shanghai des Jahres 2018 offensichtlich mit der Hilfe kleiner QR-Codes ab, mit deren Hilfe der Hungrige den geringen Betrag direkt an die Inhaberin überweist.

 

Die Schilderung dieser Situation soll dem Zweck dienen, das Große im Kleinen abzubilden. Das Leben in Shanghai im Speziellen und in China im Allgemeinen birgt viele Momente, in denen Tradition und Moderne, Hochtechnologie und uraltes Wissen, Fortschritt und über hunderte Generationen tradierte Kultur Hand in Hand gehen. Dass ich Zeuge solcher irritierender Merkmale werden konnte, verdanke ich der Teilnahme an dem Summer School-Programm der TU Berlin und der Tongji University in Shanghai, die von Dr. Sigrun Abels vom China Center der TU Berlin in Kooperation mit dem chinesisch- deutschen Hochschulkolleg (CDHK) organisiert und durchgeführt wird. Im Folgenden werde ich auf Ablauf, Organisation und meine persönlichen Erfahrungen eingehen.

 

Die dreißig Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden während des dreiwöchigen Zeitraums in einem komfortablen Hotel in Laufdistanz zum opulenten Campus der Tongji Universität untergebracht. Gewöhnlich beinhaltete ein Programmtag zwei Fachvorträge ausgewählter Forscherinnen oder China- Experten, die um einen Sprachkurs ergänzt wurden. Der Geduld und Fürsorge der Chinesisch-Lehrerin Frau Li Li ist es zu verdanken, dass sich die Teilnehmenden mit Grundlagen der chinesischen Sprache vertraut machen konnten. Der Fokus der Lehrveranstaltungen lag auf Übungen zur Aussprache, einfachen Satzbausteinen und Konversationselementen, die für das notwendige Selbstvertrauen sorgten, abseits des Kurses mit Muttersprachlern zu sprechen. Darüber hinaus ist der Sprachkurs insofern als wertvolles Element des Programms zu bezeichnen, als dass den Teilnehmenden deutlich wurde, welche Schwierigkeiten das Aneignen des Chinesischen erfordern würde. Abgesehen von der zentralen Rolle der Intonation chinesischer Silben stellen insbesondere grammatische Strukturen und die optisch ansprechende, wenn doch auf den ersten Blick keinen Regeln gehorchende Schriftsprache Herausforderungen dar, denen sich eine Chinesisch-Lernende zu stellen hätte.

 

Zu Beginn des Programms kamen die Teilnehmer, die allesamt einem Studium an deutschen Hochschulen nachgehen, in den Genuss von Initialvorträgen zur chinesischen Kultur, Geistesgeschichte, interkultureller Kompetenz und Geschichte. Vor diesem Hintergrund offenbarte die Einführung in die Sprache ihren besonderen Nutzen, ist doch das chinesische „Denken“ nicht vollständig nachvollziehbar, ohne sich mit den Besonderheiten des Chinesischen auseinanderzusetzen. Das Beschäftigen mit der relationalen, systemischen und umfassenden Art des chinesischen Denkens führte auch außerhalb der Vorträge zu lebhaften Diskussionen, zog dies doch die Reflexion mit der eigenen Art des Denkens nach sich. Weshalb China wurde wie es ist, warum es werden wird, was es werden will und weshalb wir Eigenheiten und Befremdlichem mit Neugier und Respekt begegnen sollten anstatt Vorurteilen zu folgen, wurde in den ersten Vorträgen erörtert.

 

Die Vielfalt der Vorträge darf unzweifelhaft als eine große Stärke des Programms bezeichnet werden. Ob Journalist, Diplomat oder Mitarbeiter der Außenhandelskammer – die Vorträge basierten auf langjährigen Erfahrungen in und im Umgang mit China. Dabei gelang es den Vortragenden zumeist, auf die vielen Fragen der StudentInnen einzugehen und die gemeinsame Zeit eher als Dialog denn als Sermon zu gestalten. Die Möglichkeit Fragen zu stellen verschärfte die Auseinandersetzung mit der fremden Kultur und bot die Gelegenheit, eigene Erfahrungen mit den Anwesenden zu teilen.

 

Der wirtschafts(ingenieur)wissenschaftliche Hintergrund vieler Studierender kam besonders denjenigen Vorträgen zu Gute, in denen über chinesische Technologiestrategien, Konflikte in deutsch- chinesischen Unternehmen und Eigenheiten des chinesischen Marktes referiert wurde. Die Studierenden erhielten einen bemerkenswert tiefen Einblick in die Unwägbarkeiten eines Markteintritts deutscher Unternehmen in China und eine Erklärung dafür, wie sich die auf den ersten Blick einander gegenüberstehenden Wirtschaftslehren des Kapitalismus und des Sozialismus „made in China“ vereinbaren lassen.

 

Darüber hinaus fanden verschiedene Exkursionen statt, die eine willkommene Ergänzung zu den Vorträgen darstellten. Wir besuchten einen Coworking-Space im Herzen Shanghais, statteten Knorr- Bremse, dem führenden Hersteller von Bremssystemen für Schienenfahrzeuge, einen Besuch ab und bekamen dort die Gelegenheit, Entscheidungsträger zu befragen und die Produktionsstätten zu besichtigen. Diese Besichtigungen trugen einen wesentlichen Teil dazu bei, die Gewichtigkeit des chinesischen Absatzmarktes für deutsche Unternehmen einordnen zu können. Dies wurde auch bei der Teilnahme einer deutsch-chinesischen Fachkonferenz zum Thema „Effiziente Abwasserbehandlung in der Volksrepublik China 2018“ eindringlich deutlich, auf der anspruchsvolle technologische Herausforderungen geschildert wurden, aber auch die Gelegenheit bestand, im direkten Dialog über die ökologischen Folgen des einzigartigen chinesischen Wirtschaftswachstums zu diskutieren. Einige Teilnehmer der Summer School übernahmen dabei die Moderation einer Podiumsdiskussion, was als willkommene Gelegenheit empfunden wurde, das Geschehen zu gestalten und eigene Impulse zu setzen.

 

Für Abwechslung sorgten die Ausflüge ins Umland von Shanghai. Dabei besuchte die Gruppe gemeinsam das Wasserdorf Zhouzhang, dessen Kanäle, Brücken und Gärten in Erstaunen versetzten. Die Besichtigung historischer Hauskomplexe hochrangiger Beamter wurde durch Dr. Marcus Hernig begleitet, der mit seinen profunden China-Kenntnissen dabei half, das Gesehene einzuordnen. Daran schloss sich ein Aufenthalt in Suzhou an. Von dem „Venedig des Ostens“ hatten die meisten TeilnehmerInnen im Vorfeld nicht gewusst, kamen nun jedoch in den Genuss der Annehmlichkeiten dieser Stadt, in der zehn Millionen Menschen leben. Die Exkursionen legten den Schluss nahe, von Shanghai nicht auf das gesamte China schließen zu dürfen. Bereits in „kleineren“ Städten wie Suzhou wird deutlich, über wie viel Entwicklungspotenzial China verfügt und wie viele Unterschiede zur bekannten europäischen Szenerie nicht nur im Straßenbild zu Tage treten. So bot auch der Ausflug in die Provinz Jiangxi einen wertvollen Kontrast zum hektischen Treiben Shanghais. Die Anreise erfolgte im Schnellzug, dessen Pünktlichkeit und Komfort positiv überraschte. In der Provinz erkundeten wir Kurorte und Bergdörfer, buddhistische Kloster und Naturparks. In Erinnerung bleiben neben der Schönheit chinesischer Bambuswälder und Gebirgslandschaften insbesondere die Herzlichkeit und das Interesse der ChinesInnen, die trotz Sprachbarriere den Kontakt mit der Reisegruppe nicht scheuten.

 

Die Ausflüge und die Unternehmensbesuche blieben nicht die einzigen Aktivitäten, die das Programm bereicherten. Zu Beginn der Summer School unternahmen wir eine Bootstour auf dem Huangpu, der die Innenstadt teilt. Die leuchtenden, blinkenden und blitzenden Fassaden der Wolkenkratzer von Pudong zu betrachten war eine berauschende Erfahrung, die jeden Abend Tausende Menschen an die Flussufer lockt. Wir wohnten einer Akrobatikveranstaltung bei und genossen darüber hinaus nicht zuletzt die regelmäßigen gemeinsamen Mahlzeiten, die landestypisch an kreisrunden Tischen stattfanden, in deren Mitte eine Scheibe drehte, auf die verschiedene Gerichte platziert wurden. Zum Abschluss des Programms waren wir es allerdings, die während des Essens kreisten. Im Rahmen der Abschlusszeremonie durften wir im Fernsehturm („Oriental Pearl Tower“) gemeinsam zu Abend essen, während Tische und Stühle in einer Höhe von 260 Metern sich um das Zentrum des Turms bewegten.

 

Wir waren überrascht, dass die Summer School so schnell ein Ende fand, zogen die lehrreichen und intensiven Tage doch rasch an uns vorbei. Das mag einerseits dadurch begünstigt worden sein, dass wir jeden Tag die Gelegenheit hatten, Neues zu lernen und Erfahrungen mit einer für Viele fremden Kultur zu machen. Andererseits spielt sicherlich eine Rolle, dass Shanghai eine der dynamischsten Städte der Welt ist. Diese Stadt verschlug uns ein ums andere Mal den Atem ob der Rasanz und schieren Größe, mit der wir konfrontiert wurden. Dabei muss erwähnt werden, dass das hektische Leben niemals im Chaos verfängt. Insbesondere der Verkehr, der zu einem erfreulich großen Teil auf Elektrorollern und Leihfahrrädern basiert, aber auch das größte (und modernste) U-Bahn-Netz der Welt umfasst, sorgte bei uns für Erstaunen, hatten wir doch im Vorfeld mit verstopften Straßen und schmutziger Luft gerechnet. Neben den Vorträgen und Exkursionen blieb für uns Teilnehmerinnen und Teilnehmer natürlich auch die Gelegenheit, selbstständig die Stadt zu erkunden. Die vielen Museen, Parks und teilweise noch erhaltenen Stadtviertel, die den futuristischen Wolkenkratzern noch nicht haben weichen müssen, zogen uns in den Abendstunden ebenso in den Bann wie die Möglichkeiten, ungekannte Speisen ausprobieren, sich in den Straßen verlieren oder den Verlockungen des Nachtlebens erliegen. Diese förderten ein angenehmes Klima innerhalb der Gruppe. Auch während der Kurse wurde stets respektvoll und interessiert diskutiert. Wir teilten unser Wissen, versuchten Antworten zu finden und wunderten uns hunderte Male über Shanghai, China und seine BewohnerInnen.

 

Ich habe es sehr genossen, vielen Situationen mit Staunen zu begegnen. Eine solche zu schildern habe ich zu Beginn dieses Berichts versucht. Die Zeit in China hat meine Erwartungen übertroffen. Den Kontrast des chinesischen Lebens zum gewöhnlichen Alltag in Deutschland empfand ich als besonders reizvoll. Zuweilen hatte ich das Gefühl, in die Zukunft zu blicken, die von einer Volksrepublik China unzweifelhaft geprägt werden wird, wirtschaftlich und politisch – aber auch kulturell? Tatsächlich kann ich mir vorstellen, dass in zwanzig oder dreißig Jahren Menschen nach China reisen werden wie die historischen Bildungsreisenden nach Italien, um sich mit der eigenen Kultur auseinanderzusetzen. Ein Aufbruch ins Reich der Mitte vermittelt das Gefühl für europäische Werte, Geisteshaltungen und Wesenszüge jedoch vor allem durch den starken Kontrast. Vor dem Aufenthalt in Shanghai habe ich mir nur schwer vorstellen können, wie es sein könnte, einen fundamental anderen Blick auf die Welt einzunehmen. Die Auseinandersetzung – insbesondere in den Vorträgen und Ausflügen – mit der Kultur und Geistesgeschichte Chinas, die dieses Land seit Jahrtausenden prägt, hat dazu beigetragen, meinen eigenen Blick zu schärfen und zu hinterfragen. Dafür bin ich sehr dankbar. Darüber hinaus wurde allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern deutlich, welches ökonomische Schwergewicht hier gedeiht und gerade erst Anlauf nimmt. Das Projekt der „neuen Seidenstraße“ faszinierte viele von uns und als künftige Absolventinnen und Absolventen tun wir gut daran, uns frühzeitig mit China, dem chinesischen Markt und der chinesischen Wirtschaft auseinanderzusetzen. Die Summer School trug auch einen gehörigen Teil dazu bei, gängige Vorurteile abzubauen und einen unverstellten Blick auf dieses faszinierende Land zu gewinnen. Die Summer School der TU Berlin und der Tongji University bietet eine gute Möglichkeit dazu. In jedem Fall möchte ich Interessenten dazu raten, sich für dieses Angebot zu bewerben und die Gelegenheit zu nutzen, sich mit China auseinanderzusetzen.

 

Für die Organisation im Vorfeld und vor Ort gebührt den Mitarbeiterinnen des China Centers der TU Berlin und des CDHK großer Dank. Die hervorragende Betreuung von Frau Dr. Abels und Sophie Wohlgemuth ermöglichte vielen Studierenden einen bereichernden September, der nachhaltig in Erinnerung bleibt. Es ist großartig, dass das Angebot der Summer School in Shanghai besteht und ich würde mir wünschen, dass dieses Programm von sämtlichen relevanten Seiten noch mehr Aufmerksamkeit erhält – sei es von Studierenden oder der eigenen Universität. Die Auseinandersetzung mit dem zunächst Fremden ist es, was uns wachsen lässt und ich wünsche mir, dass dieses Angebot noch viele Jahre erfolgreich weitergeführt wird.

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